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Bild: © Pascal Sieber

Revitalisieren von Hand: Ein achtsamer Umgang mit unseren Fliessgewässern

Pascal Sieber ist Geograf und Mitinhaber des Planungsbüros Sieber & Liechti GmbH. Als passionierter Wasserbauer revitalisiert er Gewässer besonders gerne in Handarbeit. Im Interview mit Aqua Viva zeigt er die zahlreichen Vorteile der Methode und wie man damit sogar die Revitalisierungsziele des Bundes erreichen kann.

Das Gespräch führte Lou Goetzmann


"Revitalisieren von Hand hat auch eine starke soziale Wirkung, denn wir bringen Menschen ans Gewässer und vermitteln ihnen auf praktische Art, was ein natürliches Gewässer ausmacht. Oft arbeiten wir dabei mit Zivildienstleistenden – aber es können auch Schulklassen, Arbeitslose, Geflüchtete oder Leute aus der Verwaltung mitmachen."

Pascal Sieber, Sieber & Liechti GmbH

Herr Sieber, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Bäche von Hand zu revitalisieren?

Ein wichtiger Grund war die Publikation des Bundesamtes für Umwelt zum Stand der Umsetzungen der Revitalisierungen von 2011 bis 2019. In diesem Zeitraum wurden nur 18 der geforderten 50 Kilometer Gewässer pro Jahr revitalisiert. Ein Grund dafür sind die vielen Akteure, welche heutzutage an Revitalisierungsprojekten beteiligt sind. Die Projekte werden dadurch oft langwierig und lasten die Planungsbüros aus. Neben der schleppenden Umsetzung hat mich aber auch der ökologische Fussabdruck von Revitalisierungen nachdenklich gemacht. Oft wird massiv in die Gewässer eingegriffen, der halbe Gewässerraum wird umgestochen. Manchmal ist dies auch nötig, weil starre Verbauungen aufgebrochen werden müssen. Oft werden aber bestehende Kleinlebensräume von Tieren, bereits vorhandene Strukturen oder wertvolle Bäume zu wenig wahrgenommen. Die Bauarbeiten verursachen zudem viel CO2: An der Surb in Niederweningen benötigte ein Bauunternehmen beispielsweise 14'000 Liter Diesel, um 500 Meter zu revitalisieren. Umgerechnet sind das 37 Tonnen CO2. Diese Herausforderungen haben mich dazu bewogen, nach Alternativen zu suchen.

Was machen Sie anders?

Wir verfolgen einen zurückhaltenden und achtsamen Ansatz und revitalisieren in Handarbeit, beispielsweise mit Zivildienstleistenden. Mit Schaufel, Pickel und Stemmeisen können wir in zwei Wochen bis zu 150m Bach revitalisieren. Wir schaffen neue Strukturen, stören die Strömung und arbeiten vorwiegend mit Holz in Form von Wurzelstöcken, Faschinen, Raubäumen (resp. -ästen), usw. Es ist erstaunlich, was mit menschlicher Kraft möglich ist. Mit einem Flaschenzug und sechs Personen können wir bis zu zwei Tonnen schwere Steine verschieben.

Gehen Sie bei dieser Methode anders auf bestehende Strukturen ein?

Ja. Am wichtigsten ist das Beobachten. Wir schauen uns zuerst genau an, was bereits vorhanden ist, versuchen dann mit feiner Klinge einzugreifen und schliesslich die Natur arbeiten zu lassen. Sie kann es immer besser als der Mensch. Grundsätzlich entfernen wir aber harte Verbauungen. Wenn wir einen hinterspülten Stein sehen oder einen Kolk finden, nutzen und stärken wir solche Strukturen. Im Bereich von Baumwurzeln arbeiten wir besonders vorsichtig. Dies ist der Unterschied zu «konventionellen» Projekten, bei denen die Revitalisierung am Tisch gezeichnet wird und dann vom Bagger in der vordefinierten Linienführung umgesetzt wird.

 Gibt es noch andere Vorteile?

Unsere Arbeitsweise gilt noch als umfassender Gewässerunterhalt. Wenn sich ein Gewässer eignet und keine Hochwasserschutzauflagen bestehen, können wir viel schneller loslegen. Nach einer einfachen aber sorgfältigen Planung kann mit unserer Methode im Folgejahr mit den Arbeiten begonnen werden. Die Methode ist auch sehr günstig, wir rechnen mit Laufmeterkosten von 300 bis 400 Franken. Bei konventionellen Revitalisierungen liegen wir eher bei 1000 Franken und mehr. Revitalisieren von Hand hat auch eine starke soziale Wirkung, denn wir bringen Menschen ans Gewässer und vermitteln ihnen auf praktische Art, was ein natürliches Gewässer ausmacht. Oft arbeiten wir dabei mit Zivildienstleistenden – aber es können auch Schulklassen, Arbeitslose, Geflüchtete oder Leute aus der Verwaltung mitmachen.

Gibt es auch Nachteile?

Revitalisiert man von Hand, braucht man Geduld, um die Natur weiterarbeiten zu lassen. Mit unseren Eingriffen gestalten wir das Gewässer nicht «fertig», sondern wir initiieren Dynamik, wir wecken das Gewässer sozusagen zum Leben, es darf sich dann selber weiter entfalten. Man muss vielleicht Monate oder Jahre auf ein Hochwasserereignis warten, bis sich wieder etwas verändert. Das Revitalisieren von Hand eignet sich nicht für Hochwasserschutzprojekte oder Ausdolungen, wo baulich eingegriffen werden muss. Zudem sehe ich die Methode nicht als sinnvoll für die Revitalisierung von grösseren Bächen und Flüssen. Hier müsste man hunderte Personen beschäftigen, was allerdings eine spannende Herausforderung wäre.

Und für welche Projekte eignet sich die Methode besonders gut?

Wir reden häufig von den grossen Revitalisierungsprojekten wie an der Thur oder am Alpenrhein. Dabei geht vergessen, dass die kleinen Fliessgewässer einen grösseren Anteil am Gewässernetz ausmachen. Und gerade bei den kleinen Fliessgewässern sind viele Abschnitte ökomorphologisch in einem schlechten Zustand. Oft sind diese Strecken im Landwirtschaftsgebiet oder im Wald. Hier könnte man relativ einfach von Hand revitalisieren. Die Akzeptanz ist grösser, wenn Veränderungen langsam vor sich gehen, als wenn man mit gross angelegten Projekten und dem Paukenschlag daherkommt. Das ist ein grosses Potential, welches noch brach liegt. Wenn wir diese Gelegenheiten nutzen, können wir auch die vom Bund geforderten 50 Kilometer pro Jahr revitalisieren.

Herr Sieber, vielen Dank für das Gespräch.

Pascal Sieber ist Geograf und Mitinhaber des Planungsbüros Sieber & Liechti GmbH. Als Wasserbauer revitalisiert er am liebsten Bäche – bevorzugt nach natürlichem Vorbild.

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